Souvenir, Souvenir

Luc Ferrari – Souvenir, Souvenir

CD Wergo 67372, released 10/2011, recorded @ZKM Karlsruhe 06/2010, Piano: Elmar Schrammel, Tonmeister: Felix Dreher

„Ich bin, nachdem ich Elmar Schrammels Interpretation von Stücken Luc Ferraris sowie anderer habe hören können, sehr froh, dass es zu dieser Veröffentlichung seiner Einspielung bei dem emblematischen Label Wergo kommt. Die erste Langspielplatte Luc Ferraris erschien bei Wergo 1969, also etwa zwei Generationen zuvor. Ich danke von ganzem Herzen Elmar Schrammel für seinen einzigartigen pianistischen Vortrag und seine musikalische Intelligenz und danke ebenso Wergo, dass ich diese Neuerscheinung in den Katalog meines Lebensbegleiters mit aufnehmen darf.“ Brunhild Ferrari

Luc Ferrari, Suite hétéroclite, Ouverture

Tracklist

Suite hétéroclite (9:27), Antisonate (9:41), Sonatine Elyb (7:55), Visage I (7:01), Collection de petites pièces ou 36 enfilades pour piano et magnétophone (32:11), Fragments d‘un journal intime: Ce mysterieux moment, Regarde mon corps dit-elle (7:56)

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Fono Forum 01/2011

„Zwar war Ferrari der Prototyp eines Multimediakünstlers, dem die ästhetische Reflexion von Alltagswirklichtkeit in jeder erdenklichen Form (Texte, Instrumental-Partituren, elektroaksutische Kompositionen, Film, Musiktheater etc.) besonders am Herzen lag, dennoch war gerade das Klavier zeitlebens ein wichtiges Medium seiner Arbeit. Schliesslich hat der 1929 geborene Franzose bei Alfred Cortot und Olivier Messiaen studiert und so zeichnen Ferraris zahlreiche Klavierstücke aus der ersten Hälfte der 1950er Jahre zunächst für eine eigenwillige und höchst musikalische Variante des Darmstädter Serialismus verantwortlich. Stücke wie „Suite hétéroclite“, „Antisonate“, „Sonatine Elyb“ (die wie eine Hommage an Schönbergs Klavierstücke klingt) und „Visage I“ zeigen eine verspielte Mischung aus Dodekaphonie und Neoklassizismus mit dem erklärten Ziel, einen „gefühlvollen, erzählenden Mechanismus hervorzubringen“. Der Freiburger Pianist Elmar Schrammel lässt deshalb bei aller kantigen Transparenz des Anschlags auch deren lyrische Seite nicht aussen vor. Einen völlig anderen Charakter offenbart drei Jahrzehnte später die „Collection de petits pièces…(1984/1985). Nachdem Ferrari Prinzipien der Musique concrète und des Minimalismus zu seiner „Musique anecdotique“ verschmolzen hatte, begegnet einem ein 36-teiliges Mosaik aus Realgeräuschen, Sprachfetzen und verzerrten Melodien, deren Miniaturen gern mal nur zehn Sekunden dauern (und dann „Objet complexe“ heissen) – sehr kurzweilig. Dabei wird der Reiz des musikalischen Klischees weidlich ausgekostet, mit augenzwinkernden Anspielungen an Schumann, Chopin, Liszt und andere Heroen des romantischen Klaviers.“ 
Musik **** (4/5) Klang ***** (5/5)

NMZ 11/2011

„Vom 2005 verstorbenen Luc Ferrari, dem herausragend kreativen Kopf der Musique concrète und Schöpfer der von ihm so genannt „anekdotischen“, auf momenthafte Lebenssituationen bezogenen Musik, spielt Elmar Schrammel eine bunt zusammengewürfelte Sammlung kurzer und kürzester Klavierstücke: Verschlüsselte Miniaturen, oft nur ein paar Takte lang, die mit ihrem lapidaren Gestus an Satie erinnern, aber auch die renitente „Antisonate“, ein frühes Werk von 1953. In der „Collection de petites pièces“ (1984/85) sind Klavier- und Tonbandklang, teils mit Sprachbestandteilen und Naturgeräuschen, eng miteinander verzahnt – zwei ästhetische Ebenen, die sich unverbunden gegenüberstehen und doch fruchtbar kommentieren. Die inspirierende Wiederbegegnung mit einem bedeutenden Komponisten.”

Westzeit 12/2011 

„Wer sich mit avancierter elektronischer Musik beschäftigt, wird Luc Ferrari durch seine Tonbandcollagen oder auch durch die Zusammenarbeit mit Leuten wie DJ Olive oder Otomo Yoshihide sicher kennen, aber die hier vorgestellten und soweit dem Frühwerk (1953-56) entstammend in gewissem Sinn beinahe konventionellen Klavierstücke (u.a. die „Antisonate“ als Anti-Serialismus-statement) dürften vielen neu sein. Elmar Schrammel spielt dies ebenso ernsthaft-leichthändig wie die „36 Aufreihungen für Klavier und Tonband“ (84/85), die mit „concrèten“ Einwürfen zu irritieren vermögen oder das zuweilen fast sentimentale „Fragment eines Tagebuchs“. Und diese Musik ist keinesfalls akademisch, sondern quicklebendig.“

The Irish Times 02/2012

„French composer Luc Ferrari (1929-2005) came to regard his musical pieces as a form of anecdote. His piano music certainly tells of the time it was written. The works from the 1950s – Suite hétéroclite (composed, apparently, on a transatlantic voyage, travelling cargo to visit Edgard Varèse), Antisonate, Sonatine Elyb (a title Ferrari was unable to explain) and Visage I – are hard-edged, mostly serial. The mid-1980s Collection of small pieces, or 36 enfilades for piano and tape (Ferrari was at one time director of the Groupe de Recherches Musicales) is altogether more engaging, in a whimsical, Satie-like way. The pieces encompass sounds of nature, spoken words, glaringly obvious musical quotations and some mad pianola moments à la George Antheil. Two excerpts from Fragments d’un journal intime (1980-82) have a spur-of-the moment air.“

The Guardian 12/2012

„Luc Ferrari (1929-2005) was part of the generation of French composers dominated – suffocated, some might say – by Pierre Boulez. His musical pedigree was impeccable: Ferrari studied piano with Alfred Cortot, analysis with Messiaen and composition with Honegger and Varèse, and he was one of the founders of the Groupe de Recherches Musicales, pioneers of electronic music in the late 1950s. His subsequent output was dominated by pieces for tape, in which recordings of ambient sounds played an important part, but he composed instrumental music, too, and this disc collects together his works for piano. Yet it is still the one work involving tape that is the most striking. If the other pieces here seem rather dry, serial exercises, without a real musical personality of their own, the Collection de Petites Pièces, 35 musical fragments full of direct quotations and allusions to other music, either played by the pianist or incorporated into the prerecorded tape, which also includes speech, synthesised and ambient sounds, is by turns baffling, utterly banal and rather engaging. It’s no surprise to discover that it started out as an idea for a music-theatre piece, in which, according to Ferrari’s note, „the pianist asked himself questions about music“.

Neue Zeitschrift für Musik 05/2012

„Souvenir – die zu Material gewordene Erinnerung, Souvenir – die zum Kitsch tendierende Fleischwerdung gesammelter Pretiosen diverser Lebensetappen und Ortswechsel: Was sich im Laufe der Jahre an Nippes und nur individuell messbaren Erinnerungsstücken anhäuft, fällt in Form akustischer Mitbringsel ein wenig aus dem normativen Rahmen. Luc Ferrari (1929-2005), französischer Komponist mit italienischen Vorfahren, sammelte profane Andenken der besonderen Art: seine Souvenirs zählen zur Kategorie akustischer Erinnerungsstücke, die er selbst als Anekdoten bezeichnete und aus Landschaftsgeräuschen, Vogelstimmen oder Tierlauten konservierte. Vom Erbauer der «Musique anecdotique» präsentiert Elmar Schrammel, mehrfach ausgezeichneter Pianist und gefeierter Interpret für neue Musik (John Cage, Mathias Spahlinger, Peter Eötvös), sechs Kompositionen, die Ferrari in der Zeit zwischen 1953 und 1985 schrieb. Den ersten, schnellen Satz löst Ferrari nach zwei Minuten auf und gestaltet erst im langsameren zweiten Teil eine der Tradition entgegengesetzte, fast unbeherrscht erscheinende Widersetzlichkeit bis an die Grenze zur Revolte heran. Geradezu hypnotisierend betont Ferrari im zweiten Satz den Erinnerungscharakter musikalischer Weiterentwicklungen, in dem er in das Zwölf­tonsystem im moderater Weise und dezent Partikel der konventionellen Tonsprache integriert. Die überwiegend weniger als eine Minute kurzen Klavierschnipsel der Sammlung kleiner Stücke oder 36 Aufreihungen für Klavier und Tonband von 1984/ 85, die Ferrari ursprünglich als Musiktheaterobjekte konzipierte, reihen sich pausenlos und druckvoll gespielt wie die Perlen eines Rosenkranzes aneinander. In Paysage dominieren Naturgeräusche: Vogelstimmen, Blätterrauschen, am Schluss das Wort «porquoi». Für dieses Stück benutzte der Komponist in verstärktem Maße ein vom Pianisten zu bedienendes Tonbandgerät, mit dem er musikfremde Geräusche und andere Klänge einspielte. Gleichzeitig hatte der Pianist nach dem anfänglichen Konzept einer musiktheatralischen Anlage der Sammlung die Aufgabe, Fragen der Musik zu beantworten. Wegen nachlassenden Interesses Ferraris an Tonbandexperimenten veränderte er den Charakter der Sammlung, ohne den Titel aufzugeben: «mit der Streichung der Theaterversion wurde auch das Stück No. 30 dahingerafft» (Ferrari). Damit die Ganzheit der Komposition erhalten bleibt, enthält die CD an dieser Stelle fünf Sekunden Stille.
Aus den Fragments d’un journal intime (1980-82) spielt Elmar Schrammel zwei Passagen. Die Rätselhaftigkeit des Namens seiner Komposition Sonatine Elyb (1953/54) erinnerte auch Luc Ferrari nicht mehr, wie er in einer Tagebucheintragung von 1995 feststellte. Hier spult sich eine vom Seriellen dominierte, beständig hinterfragte Klanggeschichte ab, die Elmar Schrammel in konzentrierter «Hörigkeit» erzählt: die Verkleinerungsform der Sonate erschließt sich – spannend für den Hörer – nicht nur in der Dramatik des Allegretto, sie verlangsamt den Erzählfluss im zweiten Teil («adagio») und subsumiert im dritten («andante – allegro subito – tempo di allegro») das Tonmaterial als unteilbare Einheit.“ Musikalische Wertung: 5/5 Technische Wertung: 5/5 Booklet: 4/5

Frankfurter Rundschau 02/2006, Tönende Wackelbilder

„Ferrari, Vertreter einer anekdotischen Musik, der die akustische Ansichtspostkarte in der Neuen Musik heimisch machte, indem er lebensweltliche Bezüge in sein Komponieren hineinmontierte, hat zeitlebens eine Art moderner Romantik konfiguriert. Ein Erik Satie am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, der mit der Geste des Klanggourmets  und -touristen in seinen tönenden Wackelbildchen mit Glitzerbesatz, falschen Farben, schrägen Perspektiven und einem Hauch von Pin-up-Flair samt Motiven von Schumann bis Schönberg blättert. Früher hat der Komponist selber einmal das Werk in Frankfurt gespielt. Vor einigen Monaten ist er 76-jährig gestorben. Jetzt hat Elmar Schrammel die polyglotte Ästhetik wunderbar getroffen und selber eine Visitenkarte erster Güte abgegeben.“

FAZ 02/2006, Bremse eines schrägen Ottos

„Elmar Schrammel vermittelte mit der Collection de petites pièces des vor kurzem verstorbenen Luc Ferrari zwischen abgehobenen Klavierspiel, Comic-Oper und instrumentalem Theater. Diese szenisch konzipierte Selbstbefragung eines Musikers, wie Ferrari ausführte, bringt mit reichlichem Humor das gesamte klavieristische Ausdrucksspektrum der vergangenen 200 Jahre aufs Tapet: ein durchgeschütteltes Lexikon der Motive mit elektronischem Über-Ich und Bremse eines schrägen Ottos.“